Streetchurch-Pfarrer Markus Giger alias «El Pastor» trendet auf Tiktok: Mit seinen Kurzclips erreicht er bis zu 200 000 User:innen. Seither kann es passieren, dass er auf der Strasse angesprochen wird.
Tiktok ist eine Social-Media-Plattform, die in kurzen Abständen Kurzclips ausspielt: Inhalte werden dort auf frische und unmittelbare Art präsentiert – ganz so, wie jungen Menschen der Schnabel gewachsen ist. Streetchurch-Pfarrer Markus Giger gehört als über Fünfzigjähriger längst nicht mehr zur Zielgruppe. Dennoch weckt sein Kanal El Pastor die Aufmerksamkeit des vorwiegend jungen Publikums: Zwischen 150 000 und 200 000 junge Erwachsene haben die Kurzclips auf seinem Kanal wahrgenommen.
Und El Pastor kommt an: «Die jungen Menschen sehen mich auf Tiktok und gratulieren mir im Alltag», so Markus Giger. Auch seine Frau, Lehrerin an einer Primarschule, wird auf die Clips angesprochen. Lob erntet er gar mitten auf der Strasse von Unbekannten. Dass sein Kanal so hohe Wellen werfen würde, hätte er nie gedacht, seinen Erfolg kann er sich auch nicht so richtig erklären. Die verschlungenen Wege des Algorithmus bleiben für ihn undurchsichtig. «Doch ich habe gelernt: Dinge auf Tiktok funktionieren – oder sie funktionieren nicht.»
Mastermind hinter El Pastor ist Vamanan Puvaneswaran, der sich Vamz nennt: Er plant, konzipiert und produziert Tiktok-Inhalte für die Streetchurch. Im Fall von El Pastor sei das Themenfeld die grösste Herausforderung gewesen: Ziel war es, vier komplexe Begriffe aus der Reformationsgeschichte so zu erklären, dass sich die gewünschte Zielgruppe angesprochen fühlt. Bei den Begriffen handelt es sich um die vier Soli von Luther, also vier reformatorische Grundleitsätze. Sie heissen Solus Christus (Allein durch Christus), Sola Scriptura (Allein durch die Schrift), Sola Gratia (Allein durch Gnade) und Sola Fide (Allein durch den Glauben).
Das Produktionsteam sah sich mit der Herausforderung konfrontiert, dass die meisten Menschen ohne theologischen Hintergrund keine Ahnung haben, was die vier Soli überhaupt sind. Hinzu kommt, dass die Begriffe auf Latein sind – eine Sprache, die nur von wenigen beherrscht wird. «Also haben wir mit viel Fantasie überlegt, was man sonst noch darunter verstehen könnte», so Vamz. «Unsere Strategie war es, mit Humor Aufmerksamkeit zu erreichen.» Heraus kam dann zum Beispiel: «Solus Christus – nein, das ist kein Zauberspruch!» Oder «Sola Gratia – nein, das ist keine Ballettfigur!» Zudem sei es wichtig gewesen, die Informationen unterhaltsam und in hohem Tempo rüberzubringen. Die Clips dauern zwischen 15 und 20 Sekunden, sind also enorm kurz. Das hat mit der Aufmerksamkeitsspanne der User:innen zu tun, die man aus Studien kennt: Sie dauert höchstens zwei Sekunden. Danach braucht es wieder einen neuen Reiz – entweder durch Bilder, Musik, Soundeffekte oder Animationen.
«Um den Inhalt haben wir wirklich gerungen», sagt Markus Giger. Vamz habe seinen Text in der Vorbereitung gleich völlig zerpflückt. Der Tiktok-Experte spricht vom «Mut zur Lücke», was für Markus Giger ein Prozess war: «Der Inhalt verdichtete sich und wurde zunehmend unschärfer – da musste ich schon ein paar Mal leer schlucken», so der Theologe. «Was mir wichtig war: Keine falschen Unschärfen zu transportieren.» In dieser Hinsicht gibt es auch einen Wermutstropfen: «Anhand der Reaktionen habe ich gemerkt, dass die User:innen mich zwar wahrgenommen, aber die Inhalte oft nicht oder nur teilweise verstanden haben», so Markus Giger. «Mit der Wissensvermittlung haben wir ein Stück weit Bruchlandung erlitten.» Seine Bilanz fällt dennoch positiv aus, denn die Clips schenken ihm und der Streetchurch mehr Sichtbarkeit. «Das schafft Nähe und Vertrauen, und ich halte es für sehr realistisch, dass junge Menschen in Notsituationen eher auf uns zukommen, wenn sie uns von Tiktok kennen.» Aus diesem Grund lohne sich das Weitermachen auf jeden Fall.
Auch für Vamz ist es ganz klar, dass die Streetchurch auf Tiktok präsent sein muss. Warum? «Um die jüngere Generation dort zu erreichen, wo sie ihre Zeit verbringt.» Vamz: «Letztlich ermöglicht Tiktok der Kirche, ihre Relevanz in der digitalen Ära zu bewahren und ihre Werte und Lehren einem breiteren und jüngeren Publikum zugänglich zu machen.» Dass Markus Giger mit El Pastor so viele junge Leute erreicht, erstaunt ihn nicht: Authentizität sei auf Tiktok die allerwichtigste Währung, «und wer mit Markus Giger arbeitet oder mit ihm zu tun hat, weiss: Dieser Mensch ist echt.» Inhaltlich wird sich Markus Giger aber in Zukunft mehr auf Themen aus der Lebenswelt der jungen Erwachsenen konzentrieren – zum Beispiel auf ihren Umgang mit Beziehungen. Bei diesem zweiten Format aus der Küche von Vamz stellt Markus Giger Seelsorgegespräche nach. Er führt also einen fiktiven Dialog – und spielt abwechselnd den jungen Erwachsenen und sich selbst. Nichts daran wirkt gekünstelt, «weil Markus Giger im Alltag und im reellen Leben regelmässig mit jungen Menschen Austausch pflegt», so Vamz. «An diese Erfahrung kann er anknüpfen.»
Neugierig geworden? Hier gelangen Sie direkt zum ↗ Tiktok-Kanal von El Pastor.
Alternativ können Sie die Kurzclips auch auf ↗ YouTube ansehen.
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