WAS IST DAS, EIN PFARRAMT?


Was ist das, ein «Pfarramt»? Noch vor zwei Generationen hätte diese Frage kaum jemand gestellt. Die Kirche stand im Dorf.

Heute begegnet sie uns öfters, meist hinter vorgehaltener Hand oder in der erkennbaren Gestalt ungläubigen Staunens: Ist dies nicht ein Beruf aus vergangener Zeit? Wir leben doch heute in einer Welt, deren Herausforderungen anderer Natur sind und die handfesterer Zugangsweisen bedarf. Eine Welt der Energie- und Klimakrise. Eine Welt, in der Massen verarmen und Migrationsströme zunehmen. Eine Welt, die durch Geld, Kommunikationstechnologie, Daten und schon bald künstlicher Intelligenz regiert wird. Eine Welt, die sich immer rasanter zu wandeln scheint. Risse und Brüche - Abbrüche so gut wie Aufbrüche - gehören somit fast schicksalshaft zu Gesellschaft, Familie und Lebensläufen.

Ist da ein Pfarramt nicht aus der Zeit gefallen?

Der Beruf des Pfarrers muss aus der Zeit fallen

Ich will antworten mit: Ja; schon deshalb, weil sich das Pfarramt noch nie aus der jeweiligen Zeit begründen liess. Denn es verdankt sich des Rückbezuges, einer Tradition oder – bildhafter formuliert - einer anderen Quelle: jener des Evangeliums. Der Pfarrberuf muss darum aus der Zeit fallen. Allerdings ist das «Evangelium» dabei kein Wissens- oder Informationsbestand – somit statischer Natur –, sondern eher einer Kraft oder Energie vergleichbar, welche sich immer wieder neu in die jeweilige Zeit hinein übersetzen muss. Die Dynamik entfaltet sich im Vorgang des «Übersetzens»; in der (nicht nur) pfarramtlichen Aufgabe, der Dynamik des Evangeliums Raum und Sprache zu gewähren.

Eine Vikarin lernt das Pfarramt kennen

Was ist das, ein «Pfarramt»? Die Frage ist mir schon deshalb präsent, weil ich während eines Jahres eine Vikarin im Kirchenkreis eins begleiten werde. Monika Grieder soll Gottesdienst, Seelsorge und Unterricht, Taufe, Hochzeit, Trauerfeiern nicht nur kennenlernen, sondern sich als künftige Pfarrerin in allem erproben und ihre Erfahrungen reflektieren. So wird auch sie mich in meinem pfarramtlichen Tun und meinem Verständnis befragen (oder auch mal in Frage stellen). Ausserdem hat sie ein Gemeindeprojekt zu realisieren und soll die Gestalt unserer Gemeinde – unsere Altstadtkirchen – kennenlernen. Nicht nur die Räume, nicht nur die Vielfalt all unserer Tätigkeitsbereiche, sondern auch Organisation und Struktur(en).

Was das Pfarramt (darin) sei, wird hier zur Frage, welche Rolle der Beruf der Pfarrerin bzw. des Pfarrers wahrnehmen kann und soll. Und dies ist auch mir – nach über 25 Jahren im Pfarramt – zu einer Frage geworden, die sich gründlich neu stellt.

Grundzug und Grundauftrag der Kirche

Zu den markanten Veränderungen und Herausforderungen gehört gewiss, dass die reformierte Kirche ihre während langer Zeit unbestrittene Hauptrolle in Konfessions- oder Religionsfragen eingebüsst hat. Die Mitgliederzahlen sind drastisch zurückgegangen, die Relevanz von Kirche und Pfarramt ist für viele nicht mehr gegeben. Analog zum Lehramt oder Arztwesen hat der Beruf an Ansehen und Bedeutung eingebüsst. Indes bringen die zugleich erfolgten Reorganisationsschritte es mit sich, dass nicht nur alle klassischen Aufgaben des Pfarramtes dieselben geblieben sind, sondern zusätzliche gefragt sind: in Form von Projekten und Innovationen. Die Aufgaben nehmen nicht ab, sondern zu. Mobilität und Agilität sind dabei zwingend. (Kein Wunder ist heute für angehende Pfarrer und Pfarrerinnen «Abgrenzung» ein beliebtes Stichwort. Zeitgemässer formuliert heisst dies «Resilienz».)  

Pfarrhaus-Garten Grossmünster © Danijela Rieser

Innovationen und Projekte sind die neuen Zauberwörter. Sie versprechen Aufbrüche, Neuerungen und Flexibilität – darin Zukunft für die Kirche. Und wer möchte bestreiten, dass Erneuerungen und mal mutige Schritte guttun? Die Reformierte Kirche hat sich stets auf die Fahne geschrieben, dass sie neuer Formen bedürfe (ecclesia reformata semper reformanda). Im damaligen Verständnis: Kirche kann und soll sich als Institution oder Organisation nicht selbst begründen, sondern sich aus seiner Quelle verstehen. Und sie soll dem Evangelium entsprechen. Der «Slogan» ist seiner Herkunft nach nicht die Rechtfertigung ständiger Neuerungen beliebiger Art, vielmehr erinnert er an den Grundzug und Grundauftrag von Kirche: Sich auf den Grund (und das Ziel) ausserhalb der jeweiligen Verfasstheit zu beziehen. Ihr Grund ist eine Verheissung und ihre Ausrichtung eine Hoffnung. Vielleicht ist es darum eine ureigene – und nicht immer bequeme - Aufgabe des Pfarramtes, an Grund und Ziel des Kirche-Seins zu erinnern. An Verheissung und Hoffnung. Beides ist strikt auf Menschen (nicht auf eine Organisation) bezogen. Kirche soll zuerst für Menschen da sein. Und in allem für (mehr) Menschlichkeit einstehen. Kriterium ist darum nicht, was gefällt oder gut ankommt. Auch nicht, was Interessantes geboten oder wie Erfolg (pekuniär oder zahlenmässig) erzielt werden könnte. Prioritär muss sein: Menschen zu begleiten, sie aufzusuchen, ihnen in schwierigen Lagen beizustehen. Ausserdem – im Horizont von Verheissung und Hoffnung –Menschen zusammenzubringen, Gemeinschaft und Vernetzung zu ermöglichen und zu fördern. Das Individuelle und Punktuelle kann nicht Mass aller Dinge sein.

Das Pfarramt – in dreifacher Hinsicht benannt

Was ist das, ein «Pfarramt»? Der Pfarrdienst ist ein Amt. Ich möchte dieses Amt in dreifacher Hinsicht benennen. Zum einen ist es traditionsgebunden, es bezieht seine Aufgabe aus dem Grund und Auftrag des Evangeliums, das sich je und je neu in menschliche Verhältnisse hinein entfalten möge. Zur Aufgabe des Erinnerns und Vergegenwärtigens kommt als Zweites jene des Deutens hinzu: Die jeweilige Gegenwart (von Menschen, Gesellschaft, Kirche oder Welt) will gesehen, gesichtet und dann gedeutet werden. Genaues (und kritisches) Wahrnehmen dient einer nüchternen und darum heilsamen Selbsteinschätzung. Und das Deuten hilft, jeweilige Gegenwart oder eine Situation neu zu sehen und zu verstehen. Und hierin «geistesgegenwärtig» zu werden.


Und – drittens - gehört zu diesem Amt aufgrund gegebener Verheissung und Hoffnung, stets nach lebensförderlichen Perspektiven und gangbaren Wegen Ausschau zu halten. 
Auch in Bezug auf unsere Altstadtkirchen mit ihren Baustellen fällt dem Pfarramt darin eine wichtige – nicht immer bequeme – Aufgabe zu. In der Fülle der Tätigkeitsfelder und Aufgabenbereiche, in der Gemengelage von Aktionen, Projekten, Jubiläen und Festivitäten, die neben Seelsorge, Unterweisung, Bildung und Gottesdiensten den Alltag bestimmen, gilt es wohl künftig, ebenso bedacht wie klar(er) vorzugehen. Erst recht, wenn Ressourcen – finanziell und personell – künftig knapper werden.

Mit meiner Vikarin werde ich noch einen gangbaren Weg finden müssen, wie sie innerhalb der (über)komplexen Struktur und Organisation unserer Stadtkirchgemeinde das «Pfarramt» am besten kennenlernen und sich darin eigenständig bewegen kann. Aber ich bin überzeugt, dass die Befragung des Pfarrberufes bzw. ein Bewusstsein für das «Pfarramt» nicht nur für den eigenen Berufsweg, sondern für die Kirche als Ganze - wohin immer sie sich entwickelt - entscheidend ist.


Martin Rüsch
Rüsch Martin
Zwingliplatz 4
8001 Zürich
E-Mail
044 250 66 60
Pfarrer Grossmünster
Leitung Jugendtreff


 

 

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