«SEQUENTIA»


Wie das Abendgebet «Sequentia» nach Zürich kam

Das vierstimmige Abendgebet «Sequentia» (Lat. = Folge, Reihenfolge, Sequenz; hymnischer Gesang aus dem Chorgebet) ist in Zürich aus einer Sehnsucht und einer Erfahrung entstanden. Die katholische Theologin Pia Maria Hirsiger hat zusammen mit dem Kirchenmusiker Philippe Frey vor über 20 Jahren damit begonnen, eigene Texte und Melodien zu erarbeiten. Beinahe ebenso lange schon sind Zürcherinnen und Zürcher einmal pro Monat zum Abendgebet eingeladen, das seit rund einem Jahr in der Predigerkirche der Zürcher Altstadtkirchen stattfindet.

Ein Beitrag von Pia Maria Hirsiger / Kath. Theologin

Das Leben in unserer extrem durchgetakteten Gesellschaft fordert eine ständige Anpassung und weckt die Sehnsucht nach dem Gegenpol: nach Individualität und Freiheit. So scheuen sich viele Menschen, in ihren Frei-Zeiten und Frei-Räumen weitere Verpflichtungen einzugehen. Wie also ist in einer solchen Situation spirituelles Feiern in Gemeinschaft in einer Kontinuität möglich?

«Sequentia» ist eine mögliche Antwort: Einmal im Monat verlässt man bewusst seinen Lebenskontext, trifft sich mit Gleichgesinnten im «Raum des Heiligen», in der Dimension des Ewiggültigen, um Gott zu feiern, Freude und Heil, Inspiration und Nahrung zu empfangen für den Alltag. Diese Art der Gemeinschaft ist äusserlich minim, aber sie ist geistig real.

Schönheit von Klang und Wort
In den letzten hundert Jahren sind an verschiedenen Orten und in allen christlichen Gruppierungen Bewegungen und Gemeinschaften entstanden, die kreativ neue, liturgische Musikwelten geschaffen haben. Besonders bekannt sind aus Frankreich die Liturgien und Gesänge aus Taizé, Grandchamps, Communauté des Béatitudes, Jerusalemer-Gemeinschaften. In Assisi haben die Franziskaner in San Damiano die Menschen beim Abendgebet mit ihren Gesängen angezogen. In den gemischten Gemeinschaften konnte die Mehrstimmigkeit realisiert werden. Sie macht auf besondere Weise etwas Wesentliches erfahrbar: den Reichtum des Volkes Gottes in Einheit und Verschiedenheit durch das Zusammenspiel von Hoch und Tief, Hell und Dunkel, Männern und Frauen. Diese Schönheit von Klang und Wort hat in mir und andern die Sehnsucht geweckt nach «mehr», nach einer Realisierung auch hier in Zürich.

Eine starke emotionale Kraft
Zum ersten Mal bin ich in Taizé der Vierstimmigkeit von Liturgie begegnet. Sie hat mich tief berührt. Als ich später ein Jahr in Assisi gelebt habe, sind die Leute jeden Abend in Scharen nach San Damiano geströmt, um das mehrstimmige Abendgebet mit den Franziskanern zu feiern. Die Abendstimmung mit den Gesängen hatte eine starke emotionale Kraft, die das Herz öffnete für Gott. Mir wurde damals klar, dass diese Art des gemeinsamen Singens ein wichtiges Medium ist für die Gotteserfahrung. Es braucht die Berührung des Herzens.

Im Jahr 2000 begegnete ich an der Liebfrauenkirche dem Kirchenmusiker Philippe Frey, der einen ähnlichen musikalischen Erfahrungshintergrund und selber auch einen Zugang zu diesem Anliegen hatte. Weil man die französischen und italienischen Gesänge nicht einfach in die deutsche Sprache übertragen konnte, – was wir zuerst überlegten, – haben wir seither kontinuierlich eigene Texte und Melodien erarbeitet. Für das Abendgebet entstanden sechs verschiedene Hefte mit den Themen Adventszeit, Weihnachtszeit, Fastenzeit, Osterzeit, Schöpfung und Wort.

Sie werden seit fast 20 Jahren einmal im Monat gefeiert, lange Zeit an der Liebfrauenkirche in Zürich, meinem damaligen Wirkungsort, dann zusammen mit dem Stadtkloster in der Bullingerkirche, seit etwas mehr als einem Jahr neu in der Predigerkirche der Zürcher Altstadtkirchen.

Eine alte Tradition für eine gemeinsame Zukunft
Bereits im alten Judentum (Altes Testament) sind die Psalmen als Gebet zu den verschiedenen Tages- und Festzeiten entstanden. Diese Tradition ging seit Christus weiter in den Klöstern und im Klerus, zu deren wichtigster Aufgabe das Beten für die Welt gehört. Zu den gesungenen Psalmen kamen Hymnen, Gebete und Lesungen dazu, und im Lauf der Jahrhunderte haben sich ein paar Formen als bewährt herausgebildet, immer auch angepasst an die konkrete Gemeinschaft und ihre Lebensweise. So wird das «Stundengebet» seit Jahrtausenden rund um die Welt und rund um die Uhr und in allen Sprachen und musikalischen Farben von all denen gebetet, die sich dazu verpflichtet haben. 

Diese Tradition des Betens wird zunehmend neu entdeckt als eine zukunftsweisende Anknüpfung für die Ökumene. Sie ist für alle Seiten gefahr- und schmerzlos und deshalb ein Erfahrungsraum für Freude und Inspiration.

Als Volk Gottes in der Verantwortung
Weil die Klöster heute immer mehr verschwinden und das Christliche in unserer Gesellschaft sich auflöst, sind alle Christinnen und Christen als Volk Gottes auf eine noch nie dagewesene Weise in die Pflicht gerufen. Das Beten kann jetzt nicht mehr den «Religiösen», den Ordensleuten und dem Klerus oder den bezahlten Kirchenleuten überlassen werden. Das Stundengebet ist das Gebet des Volkes Gottes. Wer als priesterlich-königlicher Mensch wach geworden ist, ist gerufen, diese Welt heimzuholen in die Beziehung zu Gott, für die ganze Welt stellvertretend vor Gott zu stehen und die Verbindung zu ihm lebendig zu halten. Nur so kann der Geist Gottes einströmen in diese Schöpfung und das Angesicht der Erde erneuern.

Der Mönch oder die Mönchin in jedem Menschen
Viele Menschen tragen in sich eine Sehnsucht nach dem Ewigen, dem Heiligen, nach Transformation und Transzendenz. Das zeigt sich in einer tiefen Affinität zum klösterlichen, kontemplativen Leben. Gleichzeitig wissen die meisten sehr genau, dass es für sie undenkbar ist, real in einem Kloster zu leben.

Zur Zeit des grossen Franz von Assisi ging eine grosse Bewegung durch die Gesellschaft: viele wurden von ihm inspiriert und wollten ebenso alles verlassen und in der totalen Armut leben. Franziskus erkannte, dass dies für viele nicht die eigentliche Berufung war und schickte sie zurück: Sie sollten das gesellschaftliche Leben dort, wo sie hingestellt sind, mit dem Evangelium durchdringen. Diese Berufung scheint heute aktueller denn je und muss wie neu entdeckt werden. Als priesterlich-königliche Menschen sollen wir nicht aussteigen aus der Gesellschaft, sondern sie wandeln.

Der Pilgerweg nach Innen – eine gangbare Lebensform
Die Impulse im Rahmen von «Sequentia» möchten das Gottes- und Menschenbild immer tiefer ausloten, um zu einer ganzheitlichen «Vision» für die eigene Existenz zu gelangen, die zum Wesentlichen führt. Das Leben wird auf diese Weise zu einem «Pilgerweg nach Innen», zum Ursprung von Freiheit und Identität aus Gott. Darin liegen die Wurzeln für den königlich-priesterlichen Auftrag: mitzuwirken am Werden der neuen Schöpfung.

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