INSTALLATIONSGOTTEDIENST


«Die Altstadtkirchen sind so etwas wie spirituelle Haltestellen»


Zwei Jahre nach seinem Amtsantritt wurde Pfarrer Dr. Johannes Block am 2. März durch die Stimmberechtigten der Kirchgemeinde Zürich für die kommende Amtszeit als Pfarrer am Fraumünster gewählt; am 19. Mai erfolgt seine Installation. Im Interview spricht er über die ersten zwei Jahre in Zürich, über seinen Auftrag und die Rolle der Kirche.

Johannes Block, im November 2021 haben Sie Ihr Amt als Pfarrer am Fraumünster angetreten. Rückblickend: Wie haben Sie diese erste Zeit erlebt?
Meiner Wahrnehmung nach liegt ein guter und gelungener Einstieg hinter mir ohne sonderliche Beschwernisse oder Unfälle. Ich bin dankbar für viele wertschätzende und ermutigende Rückmeldungen. Nach einer ersten Gewöhnungszeit hat man sich scheinbar an den Deutschen aus der Lutherstadt Wittenberg gewöhnt. Vielleicht hat dabei auch eine Fügung der Geschichte geholfen: im Jahr 853 hat ein gewisser Ludwig der Deutsche die Fraumünsterabtei gestiftet ...

Der Wechsel einer Pfarrstelle bedeutet, dass man sich mit vielen neuen Abläufen vertraut machen und sich in unterschiedliche Gottesdienst- und Veranstaltungsformate einarbeiten muss. Der betriebliche Aufwand am Fraumünster und im Kirchenkreis Altstadt ist komplex. Beeindruckt haben mich die vielen Menschen, die sich an ganz unterschiedlichen Stellen für das Fraumünster engagieren. Das Fraumünster besitzt eine Strahlkraft, die allem menschlichen Tun und Mühen vorausliegt.

Welche Erfahrungen in dieser ersten Zeit in Zürich haben Sie am meisten geprägt und wie haben diese Ihre Sicht auf Ihr Amt beeinflusst?
Die grosse und erwartungsvolle Hörergemeinde am Sonntag zeigt mir, wie wichtig das Predigtamt in der Kirche nach wie vor ist. Auch freue ich mich, dass der Gottesdienstgemeinde eine feierliche und zum Mitfeiern einladende Liturgie ebenso wichtig ist. Die sehr gut besuchten Konzerte im Fraumünster führen mich zur Frage, was Menschen in einem Konzert entdecken, das sie in einem Gottesdienst scheinbar nicht finden? So will ich dem kreativen Miteinander von Theologie und Musik weiter nachgehen. Angesichts der komplexen Abläufe im Kirchenbetrieb und der zahlreichen Angebote im Kirchenkreis will ich die Frage nach dem, was Kirche zur Kirche macht, immer wieder einbringen.

Wie erleben Sie die Zürcher Altstadtkirchen im Kontext der modernen Stadt und welchen Platz nehmen sie Ihrer Meinung nach im religiösen und kulturellen Leben der Stadt ein?
Die Altstadtkirchen sind so etwas wie spirituelle Haltestellen im Betrieb der Grossstadt. Spirituelle Haltestellen entziehen sich dem tagtäglichen Stadtbetrieb, weil sie Alternativräume sind - Heterotopien. Die einen gehen daran vorüber, weil es den üblichen Lauf der Dinge stört. Die anderen suchen bewusst eine Kirche als einen Sakralraum auf. In dieser Spannung halten die Altstadtkirchen ihre Türen geöffnet: Die einen gehen vorüber, die anderen kehren ein. Als Kirche sollten wir einen gewissen Stolz verspüren, einer Stadtgesellschaft Alternativräume anzubieten. Ohne Kirchen im Stadtbild wäre die Welt nichts anderes als ein säkularer Raum. Oder pointierter ausgedrückt: Ohne Kirchen im Stadtbild gäbe es gar keine säkulare Welt. Denn Säkularität gibt es allein im Gegenüber zu Religiosität.

Welchen Auftrag sehen Sie für sich als Pfarrer in einer Zeit, die von rapiden gesellschaftlichen Veränderungen geprägt ist?
Manche Beobachter sprechen von einem Megatrend, dem sich die Kirche nicht entziehen könne: Der moderne Mensch bindet sich nicht an Organisationen und Institutionen. Das Segment der Religion wird mehr und mehr privatisiert. Frei und unabhängig von der Kirche sucht das Individuum religiöse Wege und Formen auf eigene Faust. In den Veränderungen und Bewegungen der Zeit kann die gute alte Kirche Stabilität und Verlässlichkeit anbieten. Die Kirche steht für ein uraltes und ureigenes Programm, das Halt und Gewissheit schenken kann. Zugleich sollte eine moderne Kirche mit religiösen Flaneuren leben, die punktuell auftauchen und im Getriebe der Stadt weiterziehen. Eine weitere Möglichkeit der kirchlichen Arbeit besteht darin, Kooperationen einzugehen und gemeinsame Projekte zu verantworten. Am Fraumünster ist es in letzter Zeit zu Kooperationen etwa mit dem Festival Stilles Zürich, mit dem Bestattungsamt im Stadthaus, mit dem Förderverein Kulturplatz Münsterhof oder mit ZüriCarneval gekommen.

Kommen wir zu zwei, drei liturgischen Fragen: In Ihren Gottesdiensten legen Sie viel Wert auf Lieder und die Liturgie. Weshalb?
Das Singen von Liedern im Gottesdienst ist eine Frucht der Reformation ­– zuerst in Wittenberg und in Strassburg, später in Genf und in Zürich. Das Gesangbuch in den Händen des Kirchenvolkes ist eine Erfindung der Reformation. Durch das Singen von Liedern oder durch das gemeinsame Sprechen von Psalmen wird die Gottesdienstgemeinde buchstäblich mündig: Sie kommt selbst zu Wort. Beim Singen und bei der Liturgie geht es neben dem Gotteslob um Beteiligung und um eine wechselseitige Feierform zwischen Gemeinde und Pfarrperson.

 Johannes Block 18.06.2020 © Frank Koine
© Frank Koine

Die Liturgie haben Sie einmal als «protestantisches Stiefkind» bezeichnet und zu dessen Wiederentdeckung eine ganze Predigtreihe gestaltet. Welche Bedeutung hat die Liturgie aus Ihrer Sicht für einen Gottesdienst und wie kann sie auf den einzelnen Menschen einwirken?
Ein Gottesdienst ist ein Spielstück, das nicht nicht inszeniert werden kann. Deshalb ist eine überlegte und sinnenfällige Inszenierung wichtig, um Menschen auf vielfältige Weise mit dem Wort der Bibel in Berührung zu bringen. «Das Wort wurde Fleisch», heisst es zu Beginn des Johannesevangeliums. Die Liturgie ist gewissermassen das leibhaftige Kleid des Wortes. Das liturgisch gekleidete Wort verleiht der Botschaft der Bibel einen Feiercharakter über ihren Lehrcharakter hinaus. Am Ende ist ein liturgisch stimmiger Gottesdienst immer auch ein Stück Seelsorge, weil Menschen auf ein Sinnpotenzial ausserhalb ihrer selbst aufmerksam und dadurch frei von sich selbst werden.

Was ist es, das die Liturgie zu einem «heiligen Spiel» werden lässt?
Wahrscheinlich wird die Liturgie dann zu einem «heiligen Spiel», wenn sie nicht belehrend und erklärend moderiert, sondern kraftvoll gefeiert wird und für sich selbst spricht. Die Liturgie zählt wie jedes gelungene Fest zum darstellenden Handeln, das im Unterschied zum wirksamen Handeln seinen Zweck in sich selbst findet. Das zweckfreie Spiel der Liturgie ist das Geschenk der Kirche an eine durchrationalisierte und «verzweckte» Welt.

Gehen wir noch ein paar Schritte weiter. Wie würden Sie die Rolle der Kirche in der heutigen säkularen Gesellschaft definieren und welche Möglichkeiten sehen Sie für die Kirche, ihre Botschaft relevanter und zugänglicher für moderne Menschen zu machen?
Offen gestanden bin ich wie viele andere auch ratlos angesichts des wachsenden Relevanzverlustes der Kirche in Europa. Viele Landeskirchen und Kirchengemeinden haben vielfältige Ideen auf den Weg gebracht, die auf unterschiedliche Weise mit dem christlichen Glauben in Berührung bringen. Wer bewusst sucht, wird auch Passendes finden. Aber selbst eine noch weitere Steigerung der kirchlichen Angebotspalette wird eine grundsätzliche Herausforderung nicht umschiffen können. Diese besteht in der hermeneutischen Einsicht, dass die Bibel ihre Relevanz in sich trägt. Die Bibel bringt eine fremde Botschaft in die Welt, die nach irdischen Massstäben als nicht relevant erscheint. Deshalb bildet die Kirche eine Art Kontrastgemeinschaft, die weltlichen und menschlichen Erwartungen vorderhand nicht entspricht. Als Kontrastgemeinschaft führt die Kirche in eine paradoxe Bewegung, die den Menschen Mensch werden lässt, indem sie ihn von sich selbst befreit. Die Frage der Selbstfindung coram Deo bildet eine wichtige Brücke in einer Epoche ausgeprägten Individualismus'.

Und am Ende ergibt die Kombination von sorgfältiger Handarbeit und edlen Zutaten dann eben die beste Schokolade, die man sich vorstellen kann!  

Welche theologischen Einsichten können dazu beitragen, eine Ethik der Versöhnung und des Friedens in einer Welt zu fördern, die von Konflikten und Spaltungen geprägt ist, und wie könnte die Kirche eine konstruktive Rolle in diesem Prozess spielen?
Die Kirche hat die Themen «Frieden» und «Versöhnung» gleichsam im Erbe. «Suche Frieden und jage ihm nach», heisst es in der Bibel. Ich denke an die eindrückliche Rolle der Kirche während des Kampfes gegen die Apartheidpolitik in Südafrika, während des Ost-West-Konfliktes oder während der politischen Umwälzungen in Polen und in Ostdeutschland.

«Un lieu de la paix et de la prière», das möge das Fraumünster für die heutigen Menschen sein, äusserte Marc Chagall, als er die farbigen Fenster mit ihrer biblischen Botschaft entwarf. Beides kann die Kirche in einer unruhigen und konfliktreichen Welt bieten: einen Ort des Friedens, an dem sich Menschen jenseits ethnischer, nationaler, kultureller, politischer oder anderer Schranken und Zwänge begegnen und austauschen; und einen Ort des Gebetes, an dem Menschen über sich selbst hinauskommen und entdecken, dass Frieden weit mehr ist als menschliches Können und Vermögen.

Welche theologische Perspektive bietet sich an, um das Phänomen des Leidens und der Tragödie in der Welt zu verstehen und wie könnte diese Perspektive Trost und Hoffnung für diejenigen bieten, die mit solchen Herausforderungen konfrontiert sind?
Ein erster Beitrag der christlichen Religion besteht meines Erachtens darin, Leiden wahrzunehmen und solidarisch zu bekämpfen. Es gibt anders geprägte Kulturen, in denen über das Leid und die Not von Menschen teilnahmslos hinweggegangen wird. Eine weitere Einsicht besteht darin, dass Leiden ein Teil des verletzlichen und vergänglichen Daseins ist. Für uns Menschen als begrenzte Geschöpfe gibt es kein Leben ohne Leiden. Doch im scheinbar sinnlosen Leiden stecken auch kreative Momente. So löst Leiden immer auch Mitgefühl und Solidarität aus. Auch wächst im Aushalten und Bestehen leidvoller Widerfahrnisse die menschliche Reife. Schliesslich kann sich im Leiden eine unsagbare Gottesspur einfinden: In unser Nichts weht der schöpferische Gott ein neues Leben hinein. «Denn durch Trübsal hier, geht der Weg zu dir», heisst es in einem Kirchenlied.

Inwiefern kann die Theologie dazu beitragen, die Spannung zwischen Glauben und Vernunft zu überbrücken und wie könnte eine integrative Herangehensweise an diese Themen zur Förderung eines tieferen Verständnisses des Glaubens dienen?
Glaube und Vernunft sind aus meiner Sicht zwei unterschiedliche Weisen der Lebensorientierung und der Lebensbewältigung. Man kann Glauben und Vernunft plakativ gegeneinander ausspielen, was seit der Epoche der Aufklärung und des Materialismus in vielen Köpfen bis heute nachwirkt. Reizvoller finde ich, von korrespondierenden Grössen zu sprechen. Die Vernunft bewahrt sich mithilfe von Fragen des Glaubens eine Relativität, die vor selbsteigner Totalität schützt. Der Glaube bewahrt sich mitmilfe von Fragen der Vernunft eine im besten Sinn befremdliche Botschaft, die vor selbsteigner Frömmigkeit schützt. Gegen den inständig propagierten Gegensatz zwischen Vernunft und Glaube ist medial kaum anzukommen. Wahrscheinlich muss jeder Mensch je für sich entdecken, dass Vernunft und Zweckrationalität die Tiefe und Grösse des Lebens nicht vollends ausloten. Vernunft vermag mitunter Sinn zu stiften, aber keine Gewissheit.

Der Installationsgottesdienst findet am Pfingstsonntag, 19. Mai ab 10 Uhr im Fraumünster statt.




Kehren wir nach diesem Exkurs abschliessend zurück ins Fraumünster: Am 19. Mai erfolgt Ihre Installation als Pfarrer des Fraumünsters. Was bedeutet Ihnen persönlich dieser Akt der Amtseinsetzung und mit welchen Attributen verbinden Sie ihn als Pfarrer?
Durch eine Installation wird mir ein Amt und eine Aufgabe übertragen. Es bestärkt mich, dass ich von anderer Seite beauftragt und ermuntert werde, die pastorale Arbeit zu verantworten. Manchmal muss man im Sinne des biblischen Wortes gegen die guten Gewohnheiten in der Kirche und in der Welt predigen. Dann steht man recht allein auf der Kanzel. Dann stützen allein Amt und Auftrag. Ich verbinde den Akt der Amtseinsetzung mit der Hoffnung auf das Wirken des Heiligen Geistes, der weht, wo er will, und fröhlich ermuntert. Auch hoffe ich auf Menschen, die mich in meinen Aufgaben wohlwollend unterstützen. Dabei geht es weniger um meine Person und mehr um die Ermöglichung des Verkündigungsauftrags.

In welche Richtung möchten Sie die Gemeinde des Fraumünsters in den kommenden Jahren führen und welche konkreten Ziele haben Sie sich dafür gesetzt?
Die Planung und Durchführung des für das Fraumünster wichtigen Jubiläumsjahres 2024 ist ein erster wichtiger Meilenstein. Das Fraumünster in seiner langen Geschichte ist vom Geist der Tradition und der Reformation geprägt. An diesem Doppelcharakter will ich mich orientieren. Zum einen bedarf es der Pflege und Bewahrung einer ansprechenden Predigt- und Gottesdienstkultur, wofür es Kreativität und Freiräume braucht. Zum anderen schweben mir neue Ideen und Formate vor: im Blick auf das Potenzial der Musik als ein geistliches Instrument, auf geistlich-musikalische Werktagsimpulse für Touristen und Berufspendler, auf spirituelle Kirchenführungen, auf das Junge Fraumünster als Forum für junge Berufstätige. Der Ideen und Möglichkeiten gibt es viele. Im Fraumünster und seinen Menschen schlummern viele Potenziale.

Interview: Patricia Andrighetto

Aktuell

RÜCKBLICK ANDALUSIEN REISE


Eine Gruppe von 13 Frauen und zwei Männern begab sich vom 6. bis 13. April auf eine ökumenische Kultur- und Bildungsreise nach Andalusien. Initiiert wurde diese von Kathrin Rehmat und Thomas Münch von der Predigerkirche Zürich, welchen die Ökumene ein wichtiges Anliegen ist. 

 

Ein Rückblick von einer Teilnehmerin.

1679102.05.2024

«MUTTER LEUIN» GEHT IN DIE VERLÄNGERUNG


Auf Grund der grossen Nachfrage werden im Juni zwei weitere szenische Führungen angeboten.

1679102.05.2024

UNTER DER DUSCHE – KIRCHENMUSIK IM ALLTAG


Geniessen Sie bei diesem Kammermusikkonzert Kompositionen von Antonin Dvořák in der Kirche St. Peter im Herzen der Zürcher Altstadt. Kammermusikkonzert mit Werken von Antonin Dvořak. In Gedenken an den grossen böhmischen Komponisten.

1679122.02.2024

WERKSTATT WORT UND MUSIK


Schätze entdecken in Kirchenmusik und Gesangbuch

1679122.04.2024

Diese Website verwendet Cookies und speichert unter Umständen persönliche Daten zur Unterstützung der Benutzerfreundlichkeit. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.