ABENDMAHL AM MITTAG IN DER GROSSMÜNSTER KRYPTA


Mit dem Abendmahl feiern Christen im Gottesdienst ihren Glauben an die Erlösung und die Auferstehung. In der Kirchengeschichte hat sich die Feier des Abendmahls in den letzten Jahrhunderten ständig verändert, ebenso die Häufigkeit der Abendmahlsfeiern und deren Stellung im reformierten Gottesdienst. Schon seit rund 50 Jahren wird am Grossmünster das «Abendmahl am Mittag» gefeiert. Martin Rüsch, Pfarrer am Grossmünster beantwortet Fragen.

Martin Rüsch, vor welchem Hintergrund hat sich das Abendmahl am Mittag im Grossmünster etabliert?

Um auf den Ursprung zurückzukommen, möchte ich gerne etwas ausholen. Während die Eucharistie im katholischen Gottesdienst ein fester Bestandteil ist, wird das Abendmahl bei den Reformierten auch heute noch vielerorts nur an hohen Feiertagen eingenommen und - eher stiefmütterlicher behandelt - am Ende des Gottesdienstes gefeiert. Das hat das Abendmahl im Laufe der Jahrhunderte in der reformierten Kirche mit Fremdheit aufgeladen. Viele Menschen wissen heute gar nicht mehr, was das Abendmahl eigentlich bedeutet. In den 70er Jahren hat dies zu einer Laienbewegung in der Schweiz geführt, die dazu übergegangen ist, das Abendmahl wöchentlich zu feiern.

Bei uns am Grossmünster ist das Abendmahl am Mittag schon seit 50 Jahren fester Bestandteil des kirchlichen Alltags. Unabhängig davon hat die Grossmünster-Gemeinde früh die Empfehlung des Kirchenrates übernommen, einmal monatlich das Abendmahl im Gottesdienst zu feiern. Wir sind ausserdem dazu übergegangen, das Abendmahl nicht mehr nach einer Unterbrechung nach dem Ende des Gottesdienstes auszuteilen, sondern fest in den Ablauf zu integrieren. Es bleibt aber selbstverständlich in der Freiheit eines jeden einzelnen Gottesdienstbesuchers, jeder einzelnen Gottesdienstbesucherin, aktiv oder passiv daran teilzunehmen.

Sie haben vorhin erwähnt, dass sich viele Menschen heute der Bedeutung des Abendmahls nicht mehr bewusst sind. Ein guter Augenblick, um diese in Erinnerung zu rufen. 

Das Abendmahl ist nach der Taufe die symbolträchtigste Handlung in einem christlichen Gottesdienst. In der gesamten Geschichte des Christentums gibt es seit jeher verschiedene Auffassungen darüber, was während des Abendmahls geschieht. Die Interpretationen reichen von einem stark mystischen Geschehen bis zu einem rein symbolischen Gedächtnismahl. Zusammengefasst kann man sagen: Das Abendmahl wird zur Erinnerung an Jesus Christus, sein Leben, seinen Tod und seine Auferstehung gefeiert. Christinnen und Christen teilen miteinander Brot und Wein in der Gewissheit, dass sich Jesus Christus selbst darin mitteilt.

Das Abendmahl ist auch eine Art Erinnerungskultur, jedoch nicht im nostalgischen Sinn. Die Frage ist hier zentral, was in der Gegenwart wichtig ist für die Zukunft. Oder anders formuliert: Das Abendmahl ist Vergegenwärtigung zur Ausrichtung auf die Zukunft.

Kehren wir nochmals zurück zur Geschichte des Abendmahls am Mittag in der Grossmünster-Gemeinde. Inwiefern unterscheidet es sich vom Abendmahl während eines Gottesdienstes?

Das Abendmahl am Mittag weist gegenüber jenem am Sonntagmorgen ein anderes Setting auf. Es hat partizipativen Charakter. Das heisst, man sondert sich nicht ab, sondern ist Teil der Gemeinschaft. Trotzdem ist es natürlich jedem Teilnehmenden auch in diesem Rahmen freigestellt, ob das Abendmahl aktiv eingenommen oder passiv gefeiert wird.

Das Abendmahl am Mittag wurde lange Zeit von Laien angeleitet. In den ersten Jahrzehnten trafen sich die Menschen in der Kapelle der Helferei. Im Zuge der Fusion der Kirchgemeinden und der Neupositionierung der Altstadtkirchen hat sich auch das Abendmahl am Mittag neu ausgerichtet. Unser Ziel war es, bewusst ein öffentliches und niederschwelliges Angebot zu gestalten. Heute findet das Abendmahl am Mittag in der Krypta des Grossmünsters statt.

Wer ist mit dem Angebot angesprochen?

Alle sind herzlich willkommen! Wir haben eine Gruppe von regelmässigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Dazu gehören Berufstätige, die z.B. auf diese Weise ihre Mittagspause verbringen, aber auch ältere Menschen. Durch die Niederschwelligkeit des Angebots stossen immer wieder auch spontan Leute dazu, manchmal sogar Touristinnen und Touristen, die sich zufällig in der Kirche aufhalten. Oft verstehen sie zwar die Sprache nicht, lassen sich aber vom feierlichen Rahmen und der Gemeinschaft berühren und mittragen.

Wichtig zu erwähnen ist ausserdem die ökumenische Zusammensetzung der Besuchenden. Die Teilnahme ist an keine Konfessionszugehörigkeit gebunden.

Wie gestaltet sich der Ablauf des Abendmahls am Mittag?

Ausser in den Schulferien findet es jeweils am Mittwochmittag um 12.15 Uhr in der Krypta statt, dauert eine halbe Stunde und folgt einer einfachen Liturgie. Die Vorbereitung auf die Abendmahlsfeier ist bewusst nicht bis ins letzte Detail ausgefeilt. Teil der Feier ist eine kurze Besinnung als Hinleitung zum Abendmahl. Oft entscheide ich hier spontan und intuitiv, worüber ich sprechen möchte. Das betrifft zuweilen Themen, die mich auch persönlich beschäftigen.

Sie haben vorhin den partizipativen Charakter erwähnt. Was bedeutet das konkret?

Das Abendmahl am Mittag lebt davon, dass wir gemeinsam Lieder, Worte, Stille und Brot teilen. Meine Rolle sehe ich darin, dies zum Tragen zu bringen. Früher waren noch stärker Teilnehmende selber aktiv eingebunden, was ich auch gut fand und finde.

Im Anschluss an die Abendmahlsfeier besteht immer die Möglichkeit zu einem gemeinsamen Mittagessen. Dadurch erhält das Zusammenkommen einen stützenden Rahmen, betont die Gemeinschaftlichkeit und bietet die Möglichkeit, sich auszutauschen und sich mitzuteilen.

Welche Bedürfnisse werden mit dem Abendmahl am Mittag abgedeckt?

Ich erhalte regelmässig positive Rückmeldungen. Die Bedeutung des Abendmahls für die Teilnehmenden ist dabei sehr unterschiedlich. Hervorzuheben sind aber besonders zwei Aspekte. Einerseits wird die Besonderheit der Situation geschätzt: Man trifft sich mitten am Tag zu dieser Feier in Gemeinschaft, jede/jeder kommt aus einer „Welt“ und geht vielleicht gestärkter, verbundener wieder in die Welt hinaus. Die Mahlfeier ist kein Selbstzweck.

Der zweite Aspekt betrifft den seelsorgerlichen Anteil. Oft werden im Rahmen der anschliessenden Tischgemeinschaft grundsätzliche Gedanken eingebracht, verbunden etwa mit den Fragen „Wie lebe ich“, „Wozu lebe ich“ oder „Wofür lebe ich“.

Welche Bedeutung messen Sie persönlich dem Abendmahl am Mittag zu?

Abendmahl ist u.a. ein symbolischer Ausdruck der Gemeinschaftlichkeit, des Teilens. Für mich bedeutet das Abendmahl einen Ankerpunkt: Während draussen die Stadt pulsiert, ist es in der Mitte des Tages in der Krypta still. Ein guter Rahmen auch für das Gebet, welches in dieser unruhigen Zeit einen besonderen Stellenwert bekommt – auch, um bedacht und ruhig einen eigenen Weg zu gehen.

Interview: Patricia Andrighetto

Martin Rüsch
Rüsch Martin
Zwingliplatz 4
8001 Zürich
E-Mail
044 250 66 60
Pfarrer Grossmünster
Leitung Jugendtreff

 

james-coleman-dSbfYNeDeiM-unsplash

Aktuell

RÜCKBLICK ANDALUSIEN REISE


Eine Gruppe von 13 Frauen und zwei Männern begab sich vom 6. bis 13. April auf eine ökumenische Kultur- und Bildungsreise nach Andalusien. Initiiert wurde diese von Kathrin Rehmat und Thomas Münch von der Predigerkirche Zürich, welchen die Ökumene ein wichtiges Anliegen ist. 

 

Ein Rückblick von einer Teilnehmerin.

1679102.05.2024

«MUTTER LEUIN» GEHT IN DIE VERLÄNGERUNG


Auf Grund der grossen Nachfrage werden im Juni zwei weitere szenische Führungen angeboten.

1679102.05.2024

UNTER DER DUSCHE – KIRCHENMUSIK IM ALLTAG


Geniessen Sie bei diesem Kammermusikkonzert Kompositionen von Antonin Dvořák in der Kirche St. Peter im Herzen der Zürcher Altstadt. Kammermusikkonzert mit Werken von Antonin Dvořak. In Gedenken an den grossen böhmischen Komponisten.

1679122.02.2024

WERKSTATT WORT UND MUSIK


Schätze entdecken in Kirchenmusik und Gesangbuch

1679122.04.2024

Diese Website verwendet Cookies und speichert unter Umständen persönliche Daten zur Unterstützung der Benutzerfreundlichkeit. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.