
Als Christoph Sigrist mit 40 Jahren seine Pfarrstelle am Grossmünster antrat, suchte er als erstes die sozial Schwächsten in der Herberge auf. «Die Sozialdiakonie ist mein Kompass», sagt der Urzürcher. Per 2024 hat Christoph Sigrist seinen Rücktritt angekündigt.
Kantige Aussagen in einer leicht zugänglichen Sprache: Das ist das Markenzeichen von Grossmünster-Pfarrer Christoph Sigrist. Doch eigentlich ist es die Beschaffenheit seiner Fragen, die ihn auszeichnet. Dies zeigt sich etwa, wenn er mit den Bewohnern der Herberge zur Heimat ins Gespräch kommt. Trotz übervollem Terminkalender setzt er sich mindestens einmal pro Monat zu ihnen an den Stammtisch – und dann wird «gschnurret.» Über das Wetter. Über das Alter, einen Brand im Quartier oder den Israel-Palästina-Konflikt.
«Ihr müsst nicht antworten», stellt Christoph gern voran. Und fragt dann offen und komplett vorurteilsfrei: «Bist du reformiert aufgewachsen?» Oder: «Leben deine Eltern noch?» In der Wohnunterkunft Herberge zur Heimat im Zürcher Niederdorf finden Männer jeden Alters ein vorübergehendes oder dauerhaftes Zuhause. Viele von ihnen wurden durch einen Schicksalsschlag aus der Bahn geworfen. Scheinbar unvermittelt spricht einer der Männer von der Trauer über den Tod seiner Mutter. Und da ist sie wieder, die berührende Eigenschaft des Pfarrers, Fragen zu stellen: «Hattest du sie gern?» Und: «Hat dir das Reden über sie gutgetan?» Der Mann ist sichtlich bewegt, wischt sich eine Träne von der Wange. Christoph Sigrist ist freundschaftlich-kumpelhaft und gleichzeitig achtsam. Nie tritt er den Menschen und ihren Verletzungen zu nah.
Als Christoph Sigrist 2003 ans Grossmünster gerufen wurde, hat er gleich die Herberge aufgesucht. Die Menschen am Rand der Gesellschaft haben seit je her einen hohen Stellenwert für ihn. Er mag ihre Ehrlichkeit, selbst wenn sie zu ihm Dinge sagen wie: «Aber Herr Pfarrer, letzten Sonntag haben Sie einen schönen Seich verzapft!» Begegnungen wie diese nähren ihn, «weil Räume entstehen, in denen man sich gegenseitig überraschen kann. Dann bin ich am glücklichsten.» Berechenbarkeit hingegen interessiert ihn nicht. Statt sich vor der Pensionierung noch ein letztes Mal für vier Jahre wählen zu lassen, scheidet er auf eigenen Wunsch frühzeitig aus dem Amt – und demissioniert per Februar 2024.
Unorthodox mögen ihn manche nennen. Für die Mitglieder im Kirchenkreis eins war er die vergangenen zwanzig Jahre in erster Linie ihr Dorfpfarrer. Auf dem kurzen Weg von der Herberge bis zum Grossmünster trifft er Menschen, die ihn seit Jahrzehnten begleiten. Er unterbricht den zügigen Gang – für einen Schwatz hat er immer Zeit. 18 junge Erwachsene hat er dieses Jahr konfirmiert. Manche von ihnen suchen auch nach der Konfirmation bei Problemen das Gespräch mit «Sigi». Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass er in seine Fürbitten Prostituierte miteinschliesst. Pfarrer Ernst Sieber oder Köbi Kuhn – zahlreichen berühmten Persönlichkeiten hat er das letzte Geleit gegeben. Die Männer aus der Herberge erhalten ein genauso würdiges Begräbnis. Zürich ist seine Stadt – in all ihren Facetten.
Zürich ist die Stadt der Zünfte und des Geldes. Und auch diese Klaviatur beherrscht Christoph Sigrist: Wie ein CEO nutzt er jedes Mittagessen für Netzwerkarbeit. Er fügt einer der markigen Sätze an, die für ihn so typisch sind: «Das Gold der Kirche ist das Netzwerk.» Natürlich sei es auch eine Bürde, als Grossmünster-Pfarrer das Erbe von «Ueli» Zwingli fortzuführen. «Mein Humor hat mich gerettet», so der 59-Jährige. Nach seiner Demission wird er das weiterführen, was ihm am meisten am Herzen liegt: Die Weiterentwicklung der kirchlichen Diakonie. Zum Beispiel als Mitglied des Stiftungsrats des Hilfswerks der evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS), als Präsident der Stiftung Urbane Diakonie oder als Titularprofessor für Diakoniewissenschaft an der Universität Bern. Schon seit zwanzig Jahren bildet er dort Pfarrerinnen und Pfarrer im Fach Diakonie aus, ausserdem ist er breit vernetzt in der Diakoniewissenschaft in Deutschland. Auch für die interreligiöse Zusammenarbeit macht er sich stark, beispielsweise als Präsident des Zürcher Forum der Religionen. Manche mögen es nicht gern hören – doch auch da nimmt Christoph Sigrist kein Blatt vor den Mund: «Durch die Zuwanderung ist die reformierte Kirche im urbanen Sozialraum eine Minderheit geworden.» Genau deshalb sucht er in «seinem» Zürich stets den Austausch, die Zusammenarbeit – mit anderen Organisationen, Stiftungen oder Religionen. «Der Heilige Geist schwirrt sowieso über und in allem.»
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