ESOTERIK ODER ALTE CHRISTLICHE PRAXIS?


Handauflegen, Meditieren, Yoga – neue Formen von Verkündigung boomen. Sie haben wenig bis nichts mit der reformatorischen Tradition vom Hören auf das Wort zu tun. Wie umgehen damit?

In der Citykirche Offener St. Jakob, der Kirche am Stauffacher, finden sich unzählige Möglichkeiten für Erfahrungshungrige: Meditationsnacht, Yoga, ekstatisches Tanzen – bis hin zum Handauflegen.

Heilungsgeschichten in der Bibel

Das sei keineswegs ein Widerspruch zur reformierten Tradition: «Das Händeauflegen ist eine alte christliche Praxis, die schon in der Urgemeinde praktiziert wurde», sagt der Pfarrer Patrick Schwarzenbach (Bild). Er erinnert an Heilungsgeschichten in der Bibel – im Neuen Testament zum Beispiel bei Lukas. Auch im Offenen St. Jakob hat das Händeauflegen eine langjährige Tradition: Seit 21 Jahren bieten dies Freiwillige an, derzeit unter der Leitung von Michael Schaar.

Patrick Schwarzenbach selbst experimentiert aber auch gern mit ganz neuen Formen von Verkündigung: «Es gibt immer wieder Gottesdienstformen, die den Körper miteinbeziehen und zur Versenkung anleiten – zum Beispiel Tanz oder Gesang als spirituelle Wege, oder Licht- und Musikinstallationen. » Daneben pflegten sie die Lectio Divina, eine Praxis der Schriftlesung, die dem Text nicht nur auf Augen- und Hirnhöhe begegne, sondern auch mit Bauch und Herz.

Das Göttliche selbst erfahren

Diese Formen kommen an, beobachtet der Pfarrer: «Es gibt einen gewissen Boom, wobei der Erfahrungsaspekt sehr wichtig ist. Sich etwas sagen lassen hat weniger Gewicht als selbst davon zu kosten.» Das Göttliche selbst erfahren, auch oder gerade mit dem Körper, durch bestimmte Praktiken.

Thomas Schlag, Professor für Praktische Theologie an der Universität Zürich und Leiter des Zentrums für Kirchenentwicklung, sagt: «Die reformierte Kirche hat die Körperlichkeit des Menschen vernachlässigt, da schadet es nicht, dies wieder stärker zu betonen.»

Haendeauflegen

Patrick Schwarzenbach

Ohne darüber jedoch das Wort, die biblischen Geschichten beiseite zu lassen: «In diesen Geschichten kommt oft auch der körperliche Aspekt der Gotteserfahrung vor – Moses etwa, der Gott im brennendem Dornbusch begegnet und seine Schuhe auszieht, weil er auf heiligem Boden steht.»

Rücktransfer von Spiritualität

Dadurch, dass die reformierten Kirchen nun dieses Bedürfnis nach Erfahrung aufgreifen, beobachtet der Professor eine Verschiebung: «Da geschieht ein Rücktransfer von Spiritualität, von Religiosität zurück in den Kirchenraum. Man will nicht einfach in einer Turnhalle meditieren oder irgendwo Yoga üben. Auch die Atmosphäre von Kirche macht viel mit einem.»

Doch warum finden diese Angebote einen so grossen Anklang, was ist an ihnen so besonders? Thomas Schlag meint: «Unsere Gesellschaft, unsere Kultur hat die Tradition des reinen Zuhörens verloren. Früher war das selbstverständlich einseitige Kommunikation pur, ein Mensch redet, die anderen hören zu. Doch heute sind wir so überflutet von Bildern und Tönen, da verzaubert das Wort allein nicht mehr einfach so.» Als Kirche müsse man sich dabei ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen: «Warum bieten wir etwa Yoga an – denn was unter der Flagge ‹reformiert› segelt, sollte auch an die reformierte Tradition angebunden sein», so Schlag. Im Falle vom Yoga könne das zum Beispiel die bewusste und ausdrückliche Erinnerung daran sein, dass der Mensch Geschöpf ist und damit in gut reformierter Tradition angenommen
und geliebt ist.

Abgrenzung Esoterik - Spiritualität

Patrick Schwarzenbach zieht als reformierter Pfarrer aber auch Grenzen, will nicht jedem esoterischen Angebot Platz bieten: «Wenn Abhängigkeiten entstehen, wenn es nur um die Vermehrung des Geldes geht, wenn ein spiritueller Weg sich als Gegensatz zur Welt und zur Politik versteht, und auch wenn die Qualität nicht stimmt.» Dabei sei das Doppelgebot der Liebe eine sinnvolle Richtschnur: Fördert eine Praxis den liebevollen Umgang mit sich selbst und anderen – und kann sie einen Raum eröffnen, in dem die göttliche Liebe wachsen kann?

Die reformierte Kirche am Stauffacher jedenfalls beantwortet die Frage in ihrem Angebot mit einem klaren Ja.

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