GEMEINSAM DEUTSCH LERNEN VERBINDET


An rund zwanzig Standorten innerhalb der Kirchgemeinde verbessern Menschen mit Fluchthintergrund niederschwellig und kostenlos ihre Deutschkenntnisse – und treten gleichzeitig mit anderen Menschen in Beziehung.

Deutschkurs_Fluntern©Ursula_Markus_600x400

Offen für alle, niederschwellig und kostenlos: Das sind die Deutschkurse der Kirchgemeinde Zürich in Zusammenarbeit mit Solinetz. «Viele der Teilnehmenden haben keinen Aufenthaltstitel oder ihnen fehlen die Papiere. Ihr Asylgesuch wurde abgelehnt – gleichzeitig können sie wegen der unsicheren Lage nicht in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden», sagt Monika Golling, Projektleiterin an der Kirche Offener St. Jakob. Ein Anrecht auf Integrationsleistungen – zum Beispiel auf bezahlte Deutschkurse – haben sie nicht. Je nach persönlicher Situation können manche nach fünf bis sieben Jahren ein Härtefallgesuch einreichen. Doch nur die wenigsten erfüllen die strengen Kriterien dafür. «Die meisten Menschen, die unsere Deutschkurse besuchen, befinden sich in einer auf allen Ebenen sehr prekären Lage», so Monika Golling weiter.

Lehrperson mit Fluchterfahrung

Der pensionierte Wirtschaftsingenieur Joachim Albrecht erteilt seit sechs Jahren im reformierten Kirchgemeindehaus Grünau geflüchteten Menschen ehrenamtlich Deutschunterricht. «1944 in Plauen im Vogtland geboren, musste ich das erste Jahr meines Lebens viel Zeit im Luftschutzkeller verbringen», sagt der 78-jährige. Wie es sich anfühlt, aus seiner gewohnten Umgebung gerissen zu werden und irgendwo ganz neu anzufangen, kennt er aus seiner Biografie: Als Elfjähriger flüchtete er mit seiner Familie von der damaligen DDR nach Konstanz. Und obwohl es für ihn damals keine Sprachbarriere gab, rang auch er am neuen Ort um Zugehörigkeit.

«Allein die Tatsache, dass es diese Menschen bis hierher geschafft haben, heisst doch: Sie bringen vielfältige Fähigkeiten mit», sagt Joachim Albrecht. Als Quereinsteiger ohne Unterrichtserfahrung musste er sich anfangs auf seine Improvisationsgabe verlassen – denn eine eigentliche Einführung in seine Aufgabe bekam er nicht. Solinetz ist als Verein organisiert und lebt von den Menschen, die die Kurse tragen und mitgestalten.

Feste Lerngruppen an Tischen

Die Deutschkurse von Solinetz und der reformierten Kirchgemeinde sind weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. «Zu uns kommen Menschen aus dem ganzen Kanton», sagt Monika Golling. Je nach Standort unterscheidet sich die Organisation des Kurses ein wenig – oft hängt dies auch mit den räumlichen Gegebenheiten zusammen. Im Offenen St. Jakob sind die Menschen in Niveaugruppen von Alphabetisierung, A1, A2, B1 bis B2 eingeteilt. Der Unterricht wird im Kirchgemeindehaus, in der Kirche selbst sowie in einer zusätzlichen Liegenschaft erteilt. An bis zu dreissig Niveautischen finden sich die Teilnehmenden zu Lerngruppen zusammen – und zwar Woche für Woche in der gleichen Konstellation. Zwischen 90 und 120 Menschen nutzen dieses niederschwellige und kostenlose Angebot jeden Freitagvormittag von zehn bis 12 Uhr. Auch ein Kinderhütedienst wird an fast allen Standorten angeboten. In der Kirche Offener St. Jakob stehen wöchentlich insgesamt sechzig Freiwillige gleichzeitig im Einsatz. Im Anschluss an den Kurs findet ein Gratis-Mittagessen statt. «Diese Kontinuität gibt den Menschen Struktur und Sicherheit. Oft entstehen auch Freundschaften, was gerade vulnerablen Menschen in teilweise prekären Situationen eine grosse Stütze ist», sagt Monika Golling.

Die ganze Woche über Deutsch lernen

Newsletter_Visual_Webartikel_schmal

Dass die Deutschkurse an unter­schiedlichen Standorten an verschiedenen Wochentagen stattfinden, hat seinen bestimmten Grund: Auf diese Weise können Menschen mit Fluchterfahrung die ganze Woche über kostenlos Deutsch lernen. Was Joachim Albrecht bedauert, ist die fehlende Harmonisierung – denn die Kurse finden zwar wie eine aufgereihte Perlenkette an jedem Wochentag an einem anderen Ort statt, sind aber inhaltlich nicht aufeinander abgestimmt. Vor einigen Jahren gab er zusammen mit einer Gruppe engagierter Lehrkräfte den Anstoss, die Unterrichts­inhalte zu harmonisieren. «Kursinhalt, Aktualitäten und Vorkomm­nisse des jeweiligen Tages haben wir uns gegenseitig per E-Mail weitergeleitet. So konnte meine damalige Lerngruppe kontinuierlich und gezielt lernen», so Joachim Albrecht.

Durchgesetzt hat sich dieser Modellversuch jedoch nicht. «Wir waren sehr offen für diese Idee», erinnert sich Monika Golling. Doch den Alltag zu meistern, stelle für Menschen mit Fluchterfahrung eine grosse Herausforderung dar. Manche seien schwer traumatisiert, andere würden in einer Asylnotunterkunft wohnen, wo an Schlaf nicht zu denken sei – und erst recht nicht an ein kontinuierliches Lernen. «Durch die fragile Situation, in der sich viele unserer Gäste befinden, ist dieses Modell an seine Grenzen gestossen», sagt die Projektleiterin.

Qualität zeigt sich bei der Begleitung

Dominique Landolt, Projektleiterin der Deutschkurse im Kirchenkreis sieben acht, spricht von einer eigentlichen Fallbetreuung, welche die freiwilligen Mitarbeitenden immer wieder leisten würden. Häufig geht es um den Aufenthaltstitel oder die Verbesserung der Wohn- oder Arbeitssituation – oder auch mal um eine Vaterschaftsanerkennung. «Auf Bitte der Teilnehmenden hin werden die Freiwilligen aktiv, organisieren einen Anwalt oder begleiten die Person zum Migrationsamt.» Dominique Landolt hört immer wieder vom Vorurteil, dass die kostenlosen Kurse der Kirchgemeinde im Vergleich zu kostenpflichten Kursen von der Qualität her abfallen. «Es mag durchaus sein, dass man in kostenpflichten Kursen besser und schneller Deutsch lernt. Die Qualität unserer Kurse zeigt sich in einem ganz anderen Bereich: Nämlich dort, wo sie Menschen in Not Hilfestellung bieten, die allein nicht weiterkommen würden.»



Weitere Informationen und Übersicht Deutschkurse:
Deutschkurse Solinetz


Aktuell

WEG MIT DEM FEIGENBLATT!


Sexualität und die Bibel: Was für eine Paarung! Eine drei­teilige Vor­trags­reihe gibt Tipps für gelin­gende Liebes­be­zie­hungen in der Mühle des Alltags.

1705110.04.2024

MIR SÄGED DANKE: YVONNE BUCHER


Yvonne Bucher ist 84 Jahre alt und stets in Bewe­gung. Sie leitet und orga­ni­siert den Frauen-Treff sowie Wande­rungen für Senior:innen im Kirchen­kreis sechs.

1730110.04.2024

SAISONSTART DER FÜHRUNGEN IN DEN ALTSTADTKIRCHEN


Im April starten die Alt­stadt­kirchen die dies­jährigen öffent­lichen Führungen. Es geht auf Türme, in Kirchen, zu Fenstern und in Krypten.

1679

OMG! MIDLIFE KRISE ODER MASTERPLAN


Im OMG!-Video disku­tiert Pfarrerin Stefanie Porš mit Psycho­lo­gin und Familien­bera­terin Raphaela Hügli die Höhen und Tiefen der her­aus­for­dern­den Zeit in der Lebens­mitte.

2264

HUMOR UND REFORMIERTSEIN


Am 1. April sind Streiche und Lachen garantiert. Aber wie steht es um den Humor im Rahmen des refor­mierten Glaubens?

128.03.2024

MIT TIKTOK-CLIPS AUF ERFOLGSKURS


El Pastor heisst Street­church-Pfarrer Markus Giger auf Tik­tok. In seinen frechen Clips er­klärt er theo­logische Begriffe – und er­reicht damit die Jungen.

1879127.03.2024

SOMMERLAGER MIT ÖKOLOGISCHEM GEWISSEN


In der Zukunfts­woche 2024 erfahren Primar­schüler:innen in einem Lager mehr über Food Waste, Gemein­schaft und den Umgang mit Medien.

112.03.2024

MIR SÄGED DANKE: THOMAS GUT


Als Sozial­diakon bietet Thomas Gut auf seinen Touren im Kirchen­kreis drei ein offenes Ohr für Men­schen. Dabei ist sein Hund Jivino oft Tür­öffner für Ge­spräche.

1705105.03.2024

Diese Website verwendet Cookies und speichert unter Umständen persönliche Daten zur Unterstützung der Benutzerfreundlichkeit. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.